Magdalena Langer ist im Ernährungsrat aktiv und erzählt, warum es wichtig ist, dass der Ernährungsrat alle an einen Tisch bringt.
Freiburg, 06.April 2020
Kannst du kurz beschreiben, was der Ernährungsrat ist und was er macht?
Der Ernährungsrat versteht sich als Plattform für Ernährung & Landwirtschaft. Dort vernetzen sich Personen aus dem Ernährungssystem, von Landwirten über Verarbeitungsbetrieben, Handel, Gastronomie oder Gemeinschaftsverpflegung, KonsumentInnen, Verwaltung und Wissenschaft. Die Idee ist, alle diese Akteure zusammen zu bringen, um gemeinsam Lösungen für eine regionale und nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung zu erarbeiten. Wir wollen sowohl Stadt und Land, als auch die verschiedenen Sektoren gemeinsam denken. Denn sonst kann es passieren, dass sich eine Organisation irgendeine Lösung überlegt. Dann soll diese Lösung umgesetzt werden, aber sie wird möglicherweise durch einen anderen Sektor blockiert, der kritisiert, dass ein bestimmter Aspekt gar nicht in Betracht gezogen wurde. Der Ernährungsrat hingegen verfolgt den Ansatz, von Anfang an diese Akteure zusammenzubringen, um dann an von allen akzeptierten und effizienteren Lösungen zu arbeiten. Der Ernährungsrat organisiert sich in einem Sprecher*innenkreis, in dem alle genannten Sektoren vertreten sind. Der Kreis trifft sich in der Regel monatlich, stimmt Projekte und strategische Vorgehensweisen ab. Zudem gibt es drei Themenkreise, die zum Thema „Umweltschutz, Landwirtschaft und Ressourcen“, „Stadt Land Beziehungen und regionale Direktvermarktung“ und „Regionale Außer-Haus-Verpflegung“ arbeiten. Dort werden konkrete Projekte umgesetzt. In den Themenkreise kann sich jede*r Bürger*in einbringen. Der Ernährungsrat will sich auf struktureller und politischer Ebene dafür engagieren, dass Rahmenbedingungen und Strukturen für ein regionales und nachhaltiges Ernährungssystem verbessert werden.
Was ist deine Aufgabe beim Ernährungsrat?
Ich mache die Koordinationsarbeit. Im Ernährungsrat haben wir 100 Aktive in den verschiedenen Arbeitskreisen . Da braucht es ganz viele Absprachen, mit denen man bündelt und in eine gemeinsame Richtung treibt. Es müssen Treffen organisiert und Informationen ausgetauscht werden. Und dann gilt es noch die ganzen Verwaltungsgeschichten, Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit zu organisieren. Wir sind noch relativ jung und haben viel Aufbauarbeit zu leisten. Der Ernährungsrat hat sich im Juli 2018, unter der Schirmherrschaft vom Oberbürgermeister Martin Horn gegründet. Es geht viel darum, die eigene Rolle zu finden und zu schauen was es braucht und wo wir wirklich etwas bewegen können.
Habt ihr bereits etwas bewegt? Hast du eine kleine Erfolgsstory vom Ernährungsrat zu erzählen?
Wir vom Ernährungsrat haben erste Projekte gestartet. Das Projekt „Essbare Stadt“ ist angelaufen. Hierbei soll die Vernetzung der urbanen Gärten unterstützt werden. Es gibt eine Studikiste, mit der 2.Wahl Biogemüse auch an Geringverdienende geliefert wird. Das passiert übrigens im Haus des Engagements. Und eine Idee des Ernährungsrats ist ein regionales Ernährungszentrum, auch unter House of Food (kurz HOF) bekannt.. Dort gäbe es einen Markt, eine Experimentierküche und Gastro, aber auch Büro und Lagerräumlichkeiten und Veranstaltungen zum Thema Ernährung. So ein Projekt würde dann in der Stadt aufgebaut werden, um einen direkten Bezug zur Region herzustellen inklusive Möglichkeiten zur Direktvermarktung.
Insgesamt handelt es sich beim Ernährungsrat stark um Netzwerkarbeit, bei der sich Leute immer wieder zusammen finden, sich austauschen und das wieder in ihre Tätigkeitsfelder tragen. Insgesamt finde ich, dass das Thema Ernährungswende ganz stark präsent ist, auch in den Medien. Ich habe das Gefühl, dass in dem Bereich viel passiert.
Du hast angesprochen, ihr wollt schon gleich zu Beginn Menschen aus verschiedenen Sektoren zusammenbringen. Wenn ihr so eine bunte Truppe seid, ist das auch manchmal eine Herausforderung? Wie schwierig ist es, es zu schaffen, dass alle an einem Strang ziehen?
Ab und an gibt es Diskussionen im Sprecher*innen-Kreis. Die führen manchmal dazu, dass wir am Ende feststellen, dass wir nicht zu einer Meinung kommen. Dennoch haben wir die Möglichkeit, uns in einer Runde auszutauschen und dazu zu lernen. Im Freiburger Ernährungsrat versuchen wir, stärker als andere Ernährungsräte in Deutschland, die Verwaltung und die Politik von Anfang mit einzubeziehen. Andere Ernährungsräte haben mehr NGO-Charakter und agieren damit eher als „Push“-Organisation. Bei der Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung werden natürlich auch verschiedene Geschwindigkeiten oder Lösungswege vorgeschlagen, aber ich hab schon das Gefühl, dass in Politik und Verwaltung eine Offenheit da ist, das Thema anzunehmen und in Freiburg etwas zu bewegen.
Was konkret wollt ihr noch erreichen und was braucht ihr dafür?
Rund um Freiburg gibt es eigentlich ziemlich gute Böden, die aber zum Teil für Kulturen verwendet werden, die nicht in der Region bleiben, weil es hier gar nicht soviel Mais, Spargel oder Erdbeeren braucht. Stattdessen könnten mit diesen guten Böden Freiburg versorgen. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich Freiburg aktuell zu 20 Prozent regional ernährt. Es geht nicht vor allem um bio oder nicht bio, sondern vor allem um eine Extensivierung, also darum, eine kleinbäuerliche Landwirtschaft zu erhalten oder zu fördern. Wir glauben, dass man diese Fragen nach den Strukturen stellen muss: Von wem wird was angebaut und in welcher Größe? Wie können diese Lebensmittel in die Stadt kommen und hier verarbeitet werden? Zum Teil werden Lebensmittel gar nicht hier verarbeitet, weil die Verarbeitung zentralisiert ist. Die Lebensmittel werden irgendwo hingefahren und dann wieder zurück gefahren. Da sollten wir uns fragen, wo es Sinn macht, die Verarbeitung in die Region zu holen. Zur Zeit während Corona ist eine Änderung zu spüren. Märkte verschieben sich. Der Trend ist wahrscheinlich vorübergehend, dass Menschen mehr zuhause kochen, mehr im Einzelhandel passiert und sehr viel mehr geliefert wird oder Biokisten nach Hause bestellt werden. Da gilt es Modelle wie beispielsweise Markschwärmer oder Solidarische Landwirtschaft in den Blick zu nehmen und Wege zu finden wie man die aus der Nische holen kann und welche Logistik es dafür braucht. Das ist nicht mehr nur eine lokale Frage, sondern auch ganz stark eine Frage, die sich auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene stellt. Wir sind eine lokale Initiative und wollen erst einmal hier die ganzen Möglichkeiten ausspielen. Wir brauchen dazu viele Menschen, EntscheidungsträgerInnen, welche die Verantwortung für sich wahrnehmen, Stadt und Land gemeinsam zu denken und die Rahmenbedingungen auszunutzen und zu verbessern.