Menschen durch Tanz mit sich und der Welt in Verbindung bringen. Nur sinnvoll oder sogar notwendig in Zeiten von social/physical Distancing und polarisierenden Debatten über Corona-Maßnahmen? Leonie von der StadtWandler-Redaktion hat sich das Tanz-Event von Take5 am Freitag angesehen.
Ein betanzter Platz der Alten Synagoge. Menschen mit Masken wippen und bewegen sich rhythmisch zur Musik, die über den großen Platz in Mitten der Innenstadt klingt. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Die Leute mal jubelnd, mal in sich gekehrt je nach Song. Nicht alle Umstehenden tanzen mit, aber das Zuschauen fällt schwer, wenn griechische Sirtaki-Musik aus den Lautsprechern schallt. Mir fällt es jedenfalls sehr schwer. Aber heute bin ich da, um das Treiben zu beobachten und um die Veranstalter*innen von "Take5. Wir tanzen weiter" zu interviewen. Das 4-köpfinge Team besteht aus János Grimm, Aniketa Hofmann, Benno Enderlein und Ursula Belting. Sie verraten mir, was es mit dem Tanzevent auf sich hat.
Leonie: Vor ein paar Wochen wäre so ein völlig lebendiger Platz der Alten Synagoge undenkbar gewesen. Warum veranstaltet ihr das Tanzen und warum macht ihr das gerade jetzt?
János Grimm: Die Antwort liegt schon in deiner Frage: wegen der Lebendigkeit. Und jenseits von irgendwelchen Werten ist das das eigentliche Gut: lebendig sein und sich zeigen und das auch jenseits von Meinung. Wir sind hier als Menschen. Das hat in allem etwas Neutrales, weil wir nicht die ganze Zeit reden, sondern wir sind da, wir sind lebendig und wir sind achtsam. Wir halten uns auf der einen Seite an das, was jetzt gerade Status quo ist, jenseits von dem was wir davon halten. Ich hatte zum Beispiel persönlich eine große Abneigung eine Maske beim Tanzen zu tragen und ich habe mich darauf eingelassen und habe alles andere beiseite geschoben, weil mir das Tanzen so wichtig war.
Und wir machen das für uns, weil wir das wollen. Ungefähr so machen wir das regelmäßig schon ganz lange. Das ist unsere Kultur, unser Hobby, unser Lebensstil, für uns allein, im Freundeskreis und in einer Tanz-Community. Wir sind eine offene freie Tanz-Community von Freiburg. Dann machen wir es natürlich auch, um uns zu zeigen. Abseits von allen Meinungen wollen wir zeigen, wir sind lebendig, wir wollen Bewegungsfreiheit. Wir wollen frei sein und kreativ . Wir nehmen uns den Platz und sind Tänzer:innen. Das bedeutet auch, wach zu sein, flexibel zu sein und zu gucken, wo Raum ist, und sich den Raum zu nehmen. Ich erlaube mir Bewegungsfreiheit.
Und war es einfach sich den Raum zu nehmen? Hattet ihr Schwierigkeiten die Veranstaltung genehmigen zu lassen. Was gab es für Herausforderungen, um die Veranstaltung stattfinden zu lassen?
János: Die Herausforderung war gering, das war einfach nur Motivation und Organisationstalent und wunderbar zuvorkommende Leute von der Stadt und von der Polizei. Diese Menschen waren sehr sehr sympathisch und helfend. Es gab natürlich so ein bisschen ein Ausprobieren, was geht.
Ich hatte zwar die erste Idee für eine Tanz-Demo. Was allerdings viel wichtiger ist, es kam dann als eine Vielzahl von Ideen und Impulsen zur eigentlichen Umsetzung von uns allen gleichberechtigt und vor allem mit sehr viel zusammenfließender Vorfreude. Das war eine sehr schöne Phase. Genauso auch die anderen Momente bis zum ersten gesprochenen Wort von Ursula auf dem Platz. Und: auch das Helferteam um uns herum ist eine entscheidende Größe.
Was ist eure Vision? Wo soll‘s jetzt hingehen? Wollt ihr das noch öfter machen? Was wollt ihr damit erreichen?
János: Ja, wir wollen das noch öfter machen und was wir erreichen wollen, ist das, was wir schon erreicht haben, nämlich dass wir den Raum haben und wir auch die Raumhalter:innen sind für eine Tanzgemeinschaft. Da steckt eine eine große Sehnsucht dahinter ganzheitlich gesund zu sein. Eine gemeinsame Vision ist auf jeden Fall, dass das auch mehr Leute erreicht,. Es sollen Menschen inspiriert werden und fühlen und wahrnehmen, dass sich das gut anfühlt, authentisch und achtsam ist und dass wir gleichzeitig verbunden sind. Wir sind natürlich auch euphorisiert davon zu sehen, dass unsere Videos auf facebook 20.000 Likes haben. Leute aus London und aus der ganzen Welt haben mich zum Beispiel schon in persönlichen Nachrichten gefragt, wie wir das auf die Beine gestellt haben. Es ist natürlich toll, wenn sich auf einmal die Welt öffnet. Das macht einen auch auf eine schöne Art und Weise stolz. Ich bin immer vorsichtig mit Stolz, aber da erreicht mich auch ein Gefühl von Stolz. Das ist was richtig Gutes, da steh ich total dazu und es gibt mir auch Kraft.
Gibt es etwas, das ihr gerade braucht? Braucht ihr irgendwo Hilfe oder Unterstützung?
János: Was wir zum Beispiel wollen ist ein Platz, der nicht so exponiert ist. Wir werden das in diesem Format bestimmt auch weitermachen, weil es Sinn macht und schön ist, aber eigentlich haben wir das Tanzen jahrelang in einem geschützten Rahmen veranstaltet. Wir suchen eigentlich einen Raum, ein Feld, das geschützter ist. Das könnte ein großer Hinterhof auf dem Land oder eine Wiese sein von Leuten, bei denen wir das veranstalten können und wo wir Strom haben. Wir wollen die Komponente Natur/Natürlichkeit als tragendes Element noch mehr zu haben. Wir wollen hier auf dem Platz der alten Synagoge keine Show abziehen, aber es hat natürlich etwas davon. Es ist viel performativer. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass die meisten Leute wirklich die Einladung annehmen und nicht nur eine Show abziehen, sondern für sich tanzen.
Ansonsten brauchen wir es, dass es weitergehen kann und darf, und dass wir das bald ohne Maske veranstalten dürfen. Der Abstand ist gar kein Problem, aber die Maske wäre für mich persönlich eine große Hilfe, wenn es die nicht mehr geben müsste.
Warum stört dich die Maske?
János: Der Nacken ist dadurch ein bisschen in Kontrolle: die Maske darf nicht abfallen. Und auch einfach die Atmung.
Wer hat hier heute getanzt? Welchen Eindruck habt ihr von den Menschen, die heute mitgetanzt haben?
Aniketa Hofmann: Viele sind aus der Tanzgemeinschaft, die sonst bei uns in den Hallen tanzen. Und es waren auch Menschen aus der Ecstatic-Dance-Szene. Dann vor allem die Menschen, die wir über unseren Verteiler angeschrieben haben. Und ohne die würde das hier auch so nicht funktionieren.
János: Es waren auch Leute da, die sehr fasziniert und im Positiven überrascht waren, und gesagt haben: „Da kommt ja eine riesige Portion Menschlichkeit rüber.“ Diese Menschen sind durch Zufall vorbeigekommen, haben das gespürt, gesehen und tatsächlich auch mitgemacht.
Ich finde es spannend, dass man hier einen so zentralen Platz hat und so viele Menschen vorbeikommen und mitmachen. Welches Potential seht ihr darin, so viele verschiedene Menschen im Tanz zusammenzubringen?
Aniketa: Für mich ist das eigentlich einer der Hauptgründe gewesen, das weiterzumachen. Ich habe gemerkt, was wir sonst immer in unserer Halle hinter verschlossenen Türen machen und was wir an Qualitäten da kultivieren, dass dafür zum ersten Mal so ein Fenster aufgeht. Es gibt Berührungspunkt mit den Menschen da draußen. Das ist für mich das Spannende hier. Das ist für mich das Potential hier und das ist das, was mich persönlich total berührt es hier zu machen.
Was ist deine persönliche Motivation, das hier so mit anzustoßen und Energie reinzustecken in das Projekt?
Benno Enderlein: Also meine persönliche Motivation ist, dass ich gerne tanze und dass ich es wichtig finde und auch sehe, wie wichtig es für die Menschen ist, zu tanzen und sich zu bewegen. In dieser Form, wie sie jetzt vorgegeben ist, mit diesem Abstand, finden wir Wege uns zu treffen und uns zu bewegen und natürlich auch in Kontakt zu sein. Das ist für mich eine Friedensarbeit. In dem Sinne ist das mir ein wichtiger Raum. Mir ist auch wichtig, dass wir hier mit dieser Art der Demonstration nicht gegen irgendwen sind, sondern für uns Menschen, für Lebendigkeit, damit wir uns wohlfühlen. Wir kreieren hier den Raum, sich etwas wieder mehr ins Lot zu bringen. Und daraus folgt dann hoffentlich, dass die Menschen dann etwas mehr im Lot in die Welt gehen.
Habt ihr auch Kritik erlebt und falls ja, wie geht ihr damit um?
Aniketa: Verschwindend gering. Dieser Clip auf Facebook, der so ganz viele Aufrufe hatte, da habe ich ein bisschen versucht mitzuverfolgen, was da für Kommentare dazu waren. Ich glaube ich habe da einmal einen Kommentar gesehen, dass das verantwortungslos wäre, weil wir ja jetzt hier Menschen infizieren würden. Ansonsten war einfach so freudvolle Rückmeldung.
János: Es gab ewig viele bunte helle, ermutigende, dankbare Kommentare. Also ich hab Kritik erlebt wie „mit Maske würde ich ja nicht mitmachen“
Vielen Dank für eure Antworten. Gibt‘s noch irgendetwas, was ihr gerne loswerden würdet, irgendeine Botschaft, die euch noch wichtig ist?
Aniketa: Tanz um dein Leben!
Video
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Danke an Elias Roos für Interviewbegleitung und Transkription.