In den letzten Wochen gab es viel Kritik aus Expertenkreisen zum Energiekonzept Dietenbach. Nun ist die Entscheidung im Gemeinderat gefallen: Das Konzept wird so wie geplant ausgeschrieben. Es gibt lediglich kleine Änderungen.
Diskussionsveranstaltung am Montag
Das geplante Energiekonzept für den neuen Stadtteil Dietenbach wird seit ein paar Wochen heftig kritisiert. Die StadtWandler-Redaktion hat berichtet. Ein Tag bevor das Konzept dem Gemeinderat zum Beschluss vorgelegt wurde, gab es letzte Überzeugungsversuche bei der Veranstaltung "Hart aber fair": Die Energiekonzepte für Dietenbach im Vergleich am Montag, den 29.11.21. Das Format war geprägt von einem schnellen Schlagabtausch zwischen Umweltamt und Expertenkreis. Aus dem Publikum wurde kritisiert, dass zu wenig Zeit sei, um inhaltlich in die Tiefe zu gehen.
Eine Aufzeichnung gibt es auf Wunsch des Umweltamtes nicht.
Kommentar zur Diskussion
Was aus unserer Sicht als Redaktion unterm Strich übrig bleibt:
- Die Diskussion könnte der Anfang eines sachlichen Diskurses sein, den wir der zukünftigen Bewohnerschaft von Dietenbach und Kleineschholz schuldig sind.
- Es wurde glaubhaft gemacht, dass es Risiken gibt, die das Energiekonzept ökologisch und ökonomisch zusammen brechen lassen können. Die Stadtverwaltung hat diese Risiken nicht bestritten, aber glaubt, dass sie nicht eintreffen. Die Antwort der Stadtverwaltung "Wenn es so kommt, schreiben wir nochmal neu aus." war nicht überzeugend.
Das macht die Forderung des Expertenkreises mehr als nachvollziehbar: Die Ausschreibung jetzt für andere Konzepte (dezentral, kalte Nahwärme...) mit weniger Risiko öffnen!
Wie es am Dienstag im Gemeinderat weiterging
In der anschließenden Gemeinderatssitzung am Dienstag, den 30.11.21, wurde mit zwei Gegenstimmen für das Energiekonzept gestimmt. Das Konzept bleibt wie es ist: heißes/warmes Nahwärmenetz mit einer Energiezentrale. Die Ausschreibung wird nicht für dezentrale, kalte Nahwärmevarianten geöffnet. Vermutlich wird nach einer Prüfung der Energiestandard der Gebäude verbessert (KfW55 auf KfW40, da KfW55 ab nächstem Jahr nicht mehr förderfähig). Es wird es auf 5% der Fläche möglich sein, dass Bauende eine eigene unabhängige Wärmeversorgung realisieren. Die Wasserstoffproduktion ist noch nicht Teil der Ausschreibung. Die Stadtverwaltung wird dazu zunächst noch einmal Expertise einholen.
Wolf-Dieter Winkler von der Fraktion Freiburg Lebenswert kritisiert das Konzept und den Prozess. Der Gemeinderat hätte nicht genügend Zeit und Informationen gehabt, um diese Entscheidung zu treffen. Er bezeichnet den Prozess als "Affront sondergleichen".
Sophie Schwer von der Grünen-Fraktion wird in der BZ zitiert mit: "Unsere Anträge zielen darauf ab, die aktuellen Diskussionen und veränderten Rahmenbedingungen aufzugreifen und das Konzept weiterzuentwickeln, ohne die Gesamtabläufe terminlich zu erschweren oder Planungen zu beeinträchtigen."
Auf eine Anfrage der StadtWanlder-Redaktion antwortet die Fraktion FDP/BFF: "Ja, man hätte die Informationen von seiten der Stadt früher bereitstellen können, für alle Fraktionen wäre mehr Zeit zur Einarbeitung nützlich gewesen. Dennoch war der Gemeinderat in der Lage, die Situation zu beraten, wenn auch unter hohem Zeitdruck. Es ist gelungen, im Austausch mit der Verwaltung die Ausschreibung noch einmal auszubreiten, und das ist genau unsere Aufgabe als Gemeinderat."
Alle Antworten auf die Presseanfrage vom 24.11.21 siehe unten.
Das schreiben andere:
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Ergebnisse der Gemeinderatssitzung als Audio beim RDL.
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"Geschmäckle im Planungsprozess?" Radio Dreyeckland stellt die Frage, ob die Ausschreibung des Energiekonzepts mit Interessenskollisionen belastet ist. (RDL)
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BZ berichtet über Entscheidung zum Energiekonzept Dietenbach. (BZ)
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[BauWende] Jörg Lange über den Strom- und Wärmebedarf des zukünftigen Stadtteils bei Radio Dreyeckland.
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[BauWende] Auch Ökoinstitutsleiter Rainer Grießhammer kritisiert Energiekonzept Dietenbach. (BZ)
Kommentar zum Beschluss
Welche der befürchteten Risiken eintreffen und welcher Gestaltungsspielraum für die Bewohnenden bleibt, wird sich in Zukunft zeigen. Dieser Prozess zeugt davon, dass Freiburg eine aktive und kompetente Zivilgesellschaft hat, die bereit ist viel Zeit und Energie einzubringen, um in Freiburg eine öko-soziale KlimaWende voranzubringen. Hoffentlich wird diese Zivilgesellschaft in Zukunft besser in Gemeinderatsprozesse eingebunden.
Antworten der Fraktionen auf Frage nach Prozessablauf
Die Antworten der Fraktionen auf die Anfrage der StadtWandler-Redaktion:
Welche Konsequenz hat das für Sie als Fraktion?
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Wir sehen kein Problem im Prozess. Wir würden das beim nächsten Mal wieder genauso machen.
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Ist blöd gelaufen, aber beim nächsten Mal wird das nicht wieder passieren.
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Der Prozess ist so falsch gelaufen, dass er am besten mit vollständigen Informationen neu diskutiert werden sollte.
Im Falle von B oder C: Was muss strukturell geändert werden?
Fraktion FDP/BFF, JUPI und Freie Wähler sagen: Keine der drei Antworten ist zutreffend.
Freiburg Lebenswert sagt: "Antwort C. Die Verwaltung muss sich unbedingt vorher mit den externen Energieexperten nochmal zusammensetzen und diesmal auch auf sie hören."
CDU-Fraktion sagt: "Antwort A. Wir sehen kein Problem im Prozess. Wir würden das beim nächsten Mal wieder genauso machen."
SPD/Kulturliste sagt: "Antwort B. Ist blöd gelaufen, aber beim nächsten Mal wird das nicht wieder passieren."
Grüne-Fraktion sagt "Antwort B. Ist blöd gelaufen, aber beim nächsten Mal wird das nicht wieder passieren."
Eine Stadt für Alle sagt: "Antwort B. Ist blöd gelaufen, aber beim nächsten Mal wird das nicht wieder passieren."
Um eine Antwort gedrückt hat sich bisher AfD. Wir haben noch ein zweites Mal nach gefragt. (Stand: 10.12.21)
Gesamte Antwort der FDP/BFF-Fraktion
Tatsächlich ist weder A noch B noch C völlig zutreffend.
Natürlich ist die Thematik schwierig und es bleiben nach wie vor viele unbekannte Parameter, die nicht genau abgeschätzt werden können.
Ja, man hätte die Informationen von seiten der Stadt früher bereitstellen können, für alle Fraktionen wäre mehr Zeit zur Einarbeitung nützlich gewesen.
Dennoch war der Gemeinderat in der Lage, die Situation zu beraten, wenn auch unter hohem Zeitdruck. Es ist gelungen, im Austausch mit der Verwaltung die Ausschreibung noch einmal auszubreiten, und das ist genau unsere Aufgabe als Gemeinderat.
Fakt bleibt, dass nach allen Beratungen und vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Expert*innen die Konzepte eng beieinander liegen. Eine der Varianten als pauschal "klimaschädlich und teuer" zu bezeichnen ist ein unzulängliches Fazit. Die Unterscheidung findet hier lediglich anhand der individuell priorisierten Schwerpunkte statt.
Es gibt an dieser Stelle keine "falsche" Entscheidung, die der Gemeinderat treffen kann, da sich wenn überhaupt rückblickend eine genaue Gegenüberstellung der Konzepte anstellen ließe.
Die Problematik im Prozess ist insofern nicht anders als die Problematik aller ehrenamtlichen kommunalpolitische Arbeit: die Fraktionen müssen mit begrenzten Ressourcen oftmals sehr schnell in hochkomplexe Thematiken einsteigen und richtungsweisende Entscheidungen treffen, die die Stadt auf Jahrzehnte prägen könnten. Dies zu leisten ist eine inhärente systemische Problematik im demokratischen Prozess, die aber in diesem Fall nicht viel anders ist als in vielen weiteren kommunalpolitischen Prozessen. Eine Neuauflage des Prozesses würde nicht nur die Kosten steigern, auch würden viele schlicht nicht abschätzbare Parameter bis dahin ebenfalls nicht vorliegen können. Dies wäre also nicht von Nutzen für das Projekt.
Gesamte Antwort von JUPI
Vorabbemerkung:
Sowohl das Verfahren als auch die Materie an sich ist so komplex, dass wir unsere Antwort nicht auf ein verkürztes ABC-Schema runterbrechen können. Wir bitte um Verständnis, dass wir in dieser Frage etwas weiter ausholen müssen.
Unsere Sicht des Verfahrens:
Mit dem Bau des klimaneutralen Stadtteils Dietenbach leistet die Stadt Freiburg Pionierarbeit. Aus diesem Grund ist die Stadtverwaltung wie auch der Gemeinderat auf unabhängige Expertisen angewiesen, um grundlegende Entscheidungen zum Energiekonzept treffen zu können. Daher wurden von einem renommierten Ingenieurbüro unterschiedliche Varianten zur klimaneutralen Energieversorgung des Stadtteils entworfen und bewertet. Die Bewertung sah zwei Varianten als grundsätzlich für geeignet an (Variante 2 und Variante 4), Klimaneutralität in der Energieversorgung zu erreichen. Variante 4 mit der Wasserstoffgewinnung wurde von Stadtverwaltung nach weiteren Prüfungen präferiert.
Zweifel am demokratischen Verfahren?
Vom Grundsatz her, zieht unsere Fraktion das Verfahren nicht in Zweifel. Wie bei solchen Prozessen grundsätzlich üblich, hat die Stadtverwaltung eine Vorlage erstellt, in die die Empfehlungen der Expert*innen des Ingenieurbüros eingeflossen sind und welche als Diskussionsgrundlage für den Gemeinderat und seine Ausschüsse diente. Der Gemeinderat ist bewusst kein aristokratisches Expert*innengremium und muss sich daher in Detailfragen auf die Stadtverwaltung und auch Expert*innen verlassen können. Da der Rat auch eine Kontrollfunktion der Verwaltung innehat, ist es selbstverständlich, dass wir, wenn Zweifel an der Darstellung der Verwaltung aufkommen, uns auch in komplexen Fragen Rat von Expert*innen einholen. Genau dies haben wir getan und haben mit einem Fragenkatalog auch die Stadtverwaltung zur Stellungnahme zu den aufgeworfenen Fragen angewiesen. Wir haben nicht nur mit den Expert*innen geredet, die uns proaktiv angeschrieben haben, sondern beispielsweise auch mit Forscher*innen der Fraunhofer-Institute gesprochen.
In Abwägung aller Argumente sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass sowohl Variante 2 als auch Variante 4 grundsätzlich das Potenzial haben, den Stadtteil klimaneutral mit Energie zu versorgen. Auch auf der Seite der Kosten für Verbraucher*innen sind die Unterschiede minimal. Der Idee einer Wasserstoffproduktion wie in Variante 4 sind wir nach Anhörung von Expert*innen grundsätzlich nicht abgeneigt.
War es ein Fehler, die Ausschreibung des Wärmekonzeptes schon im Juli zu beschließen?
Die erste Ausschreibung des Wärmekonzeptes enthält noch wenige Detailfragen. Grundsätzlich geht es zunächst darum, potenzielle Anbieter*innen EU-weit ausfindig zu machen. Detailfragen werden erst in Verhandlungen mit den Anbieter*innen nach der ersten Ausschreibungsphase geführt.
Unserer Fraktion ist es weiterhin wichtig, dass der Zeitplan für Dietenbach einigermaßen gehalten wird, denn es braucht besser gestern als übermorgen die dringend benötigten Wohnungen.
Da uns jedoch zugesichert wurde, dass die Ausschreibung grundsätzlich sehr offen formuliert wird, konnten wir den Beschluss so mittragen. Für diese Offenheit werden wir uns auch weiterhin einsetzen.
Braucht es einen Klimabeirat?
Grundsätzlich halten wir wissenschaftliche Expertise für unabdingbar für unsere Arbeit. Die Frage, ob dazu ein weiteres Gremium gegründet werden muss, haben wir noch nicht abschließend für unsere Fraktion geklärt. Wie oben beschrieben, gehen die Einschätzungen weit auseinander, sodass ein einheitliches Votum eines solchen Beirats auch unwahrscheinlich wäre. Wichtig wäre uns auf jeden Fall, dass ein solcher Beirat unvoreingenommen agiert und nur aus unabhängigen Expert*innen besteht, die z.B. nicht selbst als Bauentwickler*innen in Freiburg tätig sind.
Gesamte Antwort von Freiburg Lebenswert
Der Gemeinderat ist die politische Vertretung der Bürgerschaft. Im obliegt die kommunalpolitische Führung in der Gemeinde. Er trifft die Entscheidungen. Und er kontrolliert die Gemeindeverwaltung und überwacht den Vollzug seiner Beschlüsse.
Wie kann es also sein, dass der Projektleiter von Dietenbach erklärt, dass sich die Verwaltung bereits im April 2021 darauf verständigt hat, dass einzig die Variante V4 mit Energiezentrale, warmen Nahwärmenetz und Wasserstoffelektrolyse dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden soll. Zu diesem Zeitpunkt waren die verschiedenen möglichen Varianten der Energieversorgung von Dietenbach in keinem gemeinderätlichen Ausschuss vorberaten worden. Bevor der Gemeinderat überhaupt von der Existenz der Varianten Kenntnis hatte, hat die Verwaltung mal einfach die Entscheidungskompetenz des Gemeinderates auf sich übertragen und dem Gemeinderat die Funktion des reinen Abnickers zugedacht. Das ist ein Affront sondergleichen! Da muss man sich doch mal fragen, ob dieser Vorgang nicht ein Fall für die Rechtsaufsicht ist.
Für mich gilt Ihr Fall C. Die Verwaltung muss sich unbedingt vorher mit den externen Energieexperten nochmal zusammensetzen und diesmal auch auf sie hören. Die liegen mit ihrer Kritik völlig richtig! Eine behauptete Verzögerung von 1 - 2 Jahren ist doch, selbst wenn es wirklich so wäre, was ich bezweifle, unerheblich, da wir andere Baugebiete wie Kleineschholz oder Hinter den Gärten vor der Realisierung haben, wo bereits hunderte von Wohnungen in naher Zukunft erstellt werden.
Gesamte Antwort der SPD/Kulturliste
"Insbesondere aufgrund der hohen Komplexität der Thematik war es für uns Laien im Stadtrat nicht einfach in diesem knappen Zeitfenster alles in der angemessenen Tiefe zu durchdringen. Daher sind wir den zahlreichen Freiburger Akteur:innen für ihre fachliche Expertise und ihr Engagement sehr dankbar. So konnten wir einige Punkte korrigieren und übernommen (u.a. KfW40 als höherer Energiestandard und die nochmalige Expert:innen-Rückkopplung zum Thema Elektrolyseur). Dennoch werden wir bei derart weitreichenden Entscheidungen zukünftig mehr Zeit und eine größere Einbindung der lokalen Expert:innen einplanen."
Gesamte Antwort der Grünen-Fraktion
"Antwort B
Ein wichtiges Ergebnis der letzten Wochen ist, dass wir die lokale Expertise in Zukunft gern in einem anderen Format einbinden wollen. Das innovative Element der Wasserstoffproduktion wird intensiv diskutiert. Zu diesem Aspekt erscheint es sinnvoll, eine zweite Fachmeinung, zum Beispiel eine Anhörung von Experten, vor der diesbezüglichen weiteren Beschlussfassung einzuholen. Das möchten wir für die Zukunft dringend empfehlen."
Freie Wähler
"So darf ich Ihnen nun mitteilen, dass es von Seiten der FW keine Festlegung auf Antwort A., B., oder C. geben kann, da die Thematik zu komplex ist. Die Fraktion vertraut jedoch der Verwaltung, die sich größtmögliche Mühe gibt sowie deren Fachkompetenz. Für uns ist wichtig, dass Optionen offengehalten werden, damit gegebenenfalls einfach und schnell nachjustiert werden kann."
Letzte Änderungen:
- [06.12.21]: Antworten der Fraktionen - CDU-Fraktion antwortet mit Antwort A. SPD/Kulturliste antwortet mit B. Grüne-Fraktion antwortet mit B.
- [09.12.21] Antworten der Fraktionen - Freie Wähler sagen, keine der Antworten ist zutreffend.
- [10.12.21] Antworten der Fraktionen - Eine Stadt für Alle antwortet mit Antwort B.
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Foto: Screenshot aus dem Workshop Klimaneutrale Quartiersprojekte in der Praxis.