Letztes Jahr hat der Klimabürger:innenrat seine Empfehlungen veröffentlicht. Sie beschreiben Maßnahmen, wie die Region Freiburg zu 100% Erneuerbaren Energien gelangen kann. In einem umfangreichen Folgeprozess wird die Umsetzung der Empfehlungen begleitet.
Wie genau schafft man es, dass die Empfehlungen eines Klimabürger:innenrats (KBR) nicht in der Schublade verschwinden, sondern ihren Weg in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft finden?
Die StadtWandler-Redaktion hat für Dich Marina Leibfried und Daniel Hiekel - die Leitung des KBR Region Freiburg - zum Modell Bürgerrat PLUS und dem aktuellen Umsetzungsstand der Empfehlungen befragt.
In Kürze:
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Marina Leibfried, ist die konzeptionelle Projektleitung und Hauptmoderation des Klima-Bürger:innenrats der Region Freiburg und des Follow-up Prozesses. Marina moderiert seit 2010 kommunale Beteiligungsprozesse und gründete 2016 das Freiburger Moderations- und Beteiligungsbüro Leibfried Prozessbegleitung. Die lebendige Begleitung komplexer Prozesse mit innovativen Beteiligungsansätzen ist eines ihrer Herzensanliegen. Ziel sind sozial wie ökologisch nachhaltige und von Bürgerschaft und Akteuren mitgetragene Entwicklungsprozesse. Geloste Bürger:innenräte bilden einen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Als studierte MSc. Umweltwissenschaftlerin ist das Thema Klima auch fachlich bestens bei ihr aufgehoben.
Daniel Hiekel, ist seit 2018 Geschäftsführer des AllWeDo e.V. am Standort Freiburg. Daniel studierte Geowissenschaften und war im Anschluss einige Jahre im Öffentlichen Dienst in den Bereichen Veranstaltungsmanagement sowie Pressearbeit und Unternehmenskommunikation tätig. Als Geschäftsführer sowie Projektleitung bzw. Co-Projektleitung in fast allen Projekten ist er bei AllWeDo zentral für die Teilbereiche Unternehmenskommunikation, Drittmittelakquise, Networking, Projektplanung und Buchführung zuständig. 2022 war er für die Organisatorische Leitung des Klima-Bürger:innenrates verantwortlich.
Transparenz-Hinweis: Leonie von der StadtWandler-Redaktion unterstützt die Klimagespräche in der Co-Moderation.
Der Klima-Bürger:innenrat (KBR) ist jetzt vorbei und gleichzeitig hat der Prozess zur Umsetzung der Empfehlungen gerade erst begonnen. Was sind dabei die aktuellen Herausforderungen?
Marina: Nach dem erfolgreichen Abschluss des Klima-Bürger:innenrats letztes Jahr haben wir uns vorgenommen, die Umsetzung der Empfehlungen der zufällig gelosten Bürger:innen aus dem KBR zu begleiten. Die Herausforderungen sind vielfältig, nicht zuletzt weil es der erste interkommunale Bürger:innenrat Deutschlands war. Es fehlen Strukturen: Wer entscheidet wie über gemeinsame Vorhaben? Wie lassen sich die Aktivitäten bündeln und wie lässt sich öffentlich sichtbar machen, wo es vorangeht? Einige Kommunen würden gerne mit dem Projekt KBR abschließen, aus gut verständlichen Gründen knapper Ressourcen. Aber wir sagen: Wenn es jetzt nicht weitergeht, war der Prozess nicht erfolgreich. Wir merken ganz deutlich: Die Umsetzung der Empfehlungen und die öffentliche Transparenz darüber wird kein Selbstläufer.
Ihr habt ein Konzept zur Lösung dieser Herausforderungen geschrieben. Was genau ist euer Ansatz?
Marina: Wir haben ein Modell entwickelt, das Modell „Bürgerrat PLUS – ein Bürger:innenrat mit Umsetzungsbegleitung“. In dem Modell ist das Bürgergutachten, also das Ergebnis des Bürger:innenrats, nicht zum Schluss des Prozesses zu finden sondern in der Mitte. Es folgt die demokratische Entscheidung über die Empfehlungen (z.B. in Gemeinderatsbeschlüssen oder durch direktdemokratische Verfahren) und danach die Umsetzung.
Was daran ist neu/innovativ?
Marina: Oft bleibt es bei Bürger:innenräten beim Bürgergutachten stehen. Wenn es gut läuft oder der Prozess politisch von Anfang an gut eingebettet war, kommt es zu einer Entscheidung über die Empfehlungen – durch politische Beschlüsse oder noch inklusiver durch direktdemokratische Verfahren. Doch unsere Überzeugung ist: Das reicht nicht aus. Wenn es um komplexe Transformationsprobleme geht wie beim Klima, geht es vor allem um die Umsetzung. Und bei der Umsetzung braucht es alle Ebenen: Politik und Verwaltung, gesellschaftliche Akteure (Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft…), Bürger:innen, Medien u.v.m. Deshalb müssen wir Bürger:innenräte weiter denken. Es braucht die gelebte Erkenntnis, dass wir das „Danach“ gemeinsam mitgestalten können und es braucht innovative Formate für die Umsetzungsbegleitung, die auf mehreren Ebenen ansetzen. In den letzten Monaten haben wir einige solcher Formate durchgeführt. Als nächstes folgen die Klimagespräche am 19. und 24. Juli im Theater Freiburg.
Welche Formate führt ihr durch mit welchem Ziel und an wen richten sie sich?
Marina: Das Freiburger Modell eines Bürgerrats PLUS besteht aktuell aus folgenden Formaten:
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Analyse der Empfehlungen des Bürger:innenrats durch eine interkommunale Gruppe (fand im Herbst 2022 statt): An welche Ebene richtet sich die Empfehlung, wer ist Adressat? Ist das politisch lösbar oder braucht es weitere Akteure oder die Bürger:innen dafür?
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Strategietreffen Politik und Verwaltung (fand im Dez. 2022 unter Beteiligung fast aller 16 KBR-Kommunen statt): Welche Vision haben Politik und Verwaltung? Welche Rahmenbedingungen braucht es? Was sind die nächsten Schritte? Welche Synergieeffekte sind nutzbar?
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Strategietreffen der Akteure (fand im März mit vielen unterschiedlichen Akteuren statt): Wie können (Land-)Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und weitere Institutionen gemeinsam mit Politik und Verwaltung für die Energiewende an einem Strang ziehen? Was läuft schon und könnte noch besser zusammengebracht werden?
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Aktivierende Bürgergespräche (Klimagespräche am 19. und 24. Juli 2023 mit neuen gelosten Bürger:innen und der offenen Einladung an alle Interessierten): Was kann jede:r beitragen, damit der Wandel gelingt?
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Strategiegruppe als Fortsetzung des Beirats, der den KBR intensiv begleitet hatte, mit Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und ehemaligen KBR-Teilnehmenden: Wo stehen wir? Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Welche neuen Ideen und Impulse gibt es? Wen braucht es noch mit im Boot? (geplant)
Was habt ihr mit dem Modell vor?
Marina: Das Freiburger Bürgerratsmodell, also die Freiburger Version eines Bürgerrats PLUS habe ich in den letzten Monaten entwickelt und wir pilotieren es gerade in der Region. Aktuell arbeite ich mit Carsten Berg und Peter Behrendt aus dem Vorstand von AllWeDo daran, das Modell weiterzuentwickeln und noch breiter aufzustellen. Wir wollen bald eine Publikation dazu veröffentlichen, aber es bleibt ein Work in Progress. Wir möchten viele Beteiligungsexpert:innen und -akteure einladen, das Modell mit uns weiterzuentwickeln und mit Leben zu füllen. Meine Vision ist, dass es irgendwann nicht mehr einfach Bürgerräte gibt, die mit dem Bürgergutachten enden, sondern dass sich Kommunen/Länder/Staaten für Bürgerräte PLUS entscheiden, und damit klar sagen: Es geht hier nicht nur um Diskussion und Empfehlungen, wir haben auch die Umsetzung im Blick.
Geht es nur um Bürger:innenräte?
Marina: Nein – eigentlich ist das Modell „Bürgerrat PLUS – ein Bürger:innenrat mit Umsetzungsbegleitung“ nicht nur auf Bürger:innenräte zutreffend, sondern auf Beteiligungsprozesse allgemein. Immer wenn es um komplexere Umsetzungsfragen geht, sollte die Umsetzung mitgedacht werden.
Wie geht es jetzt konkret weiter mit dem Follow-Up-Prozess?
Daniel: Uns beschäftigt vor allem, wie wir die Empfehlungen des KBRs in die Umsetzung bringen können. Uns ist klar: Es braucht alle Ebenen. Bund, Land, Kommunen, alle relevanten Akteure, aber auch jede Einzelperson. Mit der Kommunalpolitik sind wir im Gespräch, wie eine gute Transparenz bei dem hergestellt werden kann, was auf dieser Ebene umgesetzt werden muss. Bei Empfehlungen, die auf höherer Ebene entschieden werden, sind wir in der Abstimmung bzgl. einer gemeinsamen Resolution der Region, also einem Schreiben, das ans Land herausgegeben wird und das aufzeigt, was die Region Freiburg braucht, um besser an den Themen arbeiten zu können. Dann stehen wir mit zahllosen Akteuren im Bereich der Energiewende im Austausch, wie auch hier gemeinsam mehr erreicht werden kann. Bei den Klimagesprächen zuletzt soll es konkret darum gehen, was jede Person selbst tun kann. Etwa indem man in nachhaltige Projekte investiert, sich Initiativen anschließt oder selbst Energie und damit auch Geld spart.
Wen werdet ihr zu den Klimagesprächen im Juli einladen?
Daniel: Akteure, die den Interessierten direkt etwas Handfestes mitgeben können. Die Auswahl reicht hier von Klima-Initiativen, über Energiegenossenschaften, bis zum Umweltschutzamt Freiburg und der Energieagentur. Die Veranstaltung selbst ist eine Kooperation mit der Stadt und dem Theater Freiburg.
Wir arbeiten zudem erneut mit gelosten Bürger:innen, um weitere Zielgruppen zu erreichen, was beim KBR schon gut funktioniert hat. Auch dort hatten wir viele Menschen dabei, die vorher nicht in Parteien oder Initiativen aktiv waren.
Warum sollte ich die Klimagespräche nicht verpassen?
Daniel: Weil es zwei spannende Großveranstaltungen mit echtem Marktplatzcharakter werden, bei denen es vieles zu lernen und zu entdecken gibt. Ganz wichtig: Wir wollen keine trockene Frontalveranstaltung, es soll lebendig werden. Die Interessierten können im Saal an vielen Tischen reinschnuppern und sich überall die Impulse mitnehmen, die sie brauchen. Wir wollen raus aus der Starre und direkt in die Umsetzung, daher ist das Programm auch entsprechend vielseitig gestaltet.
Was kann ich jetzt persönlich oder in meiner Organisation tun, wenn ich möchte, dass die Empfehlungen umgesetzt werden?
Daniel: Gerade zu solchen Fragen wird es Impulse am Abend geben. Wie kann ich meine Arbeitgeberin überzeugen, bei Erneuerbaren Energien dranzubleiben, wie meinen Vermieter? In was soll ich bei der Masse an Angeboten investieren? Wie engagiere ich mich am besten? Kann ich durch ein paar Kniffe auch direkt selbst Energie sparen, privat und im Betrieb? All das gehört zur Klimawende dazu. Und wenn es mit einer Teilnahme an den Klimagesprächen für Euch dieses Mal nicht klappt: Bleibt am Thema dran, informiert Euch und setzt Euch für die Umsetzung der Empfehlungen ein. Wir planen eine Dokumentation der Klimagespräche, in der die wichtigsten Fragen und Antworten, was jede:r tun kann, für alle aufbereitet sind.
Hinweis: Die Klimagespräche sind schon fast ausgebucht. Ein paar wenige Restplätze gibt es noch für den 24. Juli.
Mehr Infos zu den Klimagesprächen am 19. und 24. Juli: https://www.allwedo.eu/post/klima zum Programm „ZEHN NACH ZWÖLF, ein klimaneutrales Festspielhaus der Zukunft“ des Theaters: https://zehnnachzwoelf.wordpress.com/ Mehr zum Modell Bürgerrat PLUS: www.leibfried-prozessbegleitung.de |
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Fotos:
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Foto Strategietreffen Politik und Verwaltung (Foto: Daniel Hiekel)
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Schaubild Bürgerrat PLUS (© Leibfried Prozessbegleitung)
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Schaubilder Formate aus Bürgerrat PLUS Modell (© Leibfried Prozessbegleitung)
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Plakate Klimagespräche
Letzte Änderungen:
[19.07.2023]
- Ergänzung: "Transparenz-Hinweis: Leonie von der StadtWandler-Redaktion unterstützt die Klimagespräche in der Co-Moderation."
- Die Frage "Geht es nur um Bürgerräte?" hat Marina beantwortet, nicht Daniel.