Freiburger*innen besuchen in St. Dié einen französischen Vorzeigebau für soziales und ökologisches Bauen.
Damals vor Jahren haben wir eine Exkursion nach Freiburg gemacht, um uns die Arbeit von Rolf Disch – einem Pionier im Bereich energiesparendem Bauen – anzusehen. Heute kommen die Freiburger*innen zu uns nach Frankreich, um neue Inspiration zu suchen.
So begrüßt sinngemäß Jean-Marc Gremmel die Freiburger Exkursionsgruppe aus Architekt*innen, Zimmer*innen, Strohballenbauer*innen, Baugruppen, Aktivist*innen und Interessierten an einem November-Donnerstag in der französischen Kleinstadt St. Dié. Gremmel ist Vize Präsident des Wohnungsbauträgers Le Toit Vosgien und zusammen mit dem Direktor Patrick Schmidt Gastgeber des deutschen Besuchs. Die Inspiration, von der Gremmel spricht, sind zwei Passivhäuser, die das Unternehmen 2014 erbaut hat und die zusammen 26 Sozialwohnungen beherbergen. Die Gebäude sind aus einer Massivholzkonstruktion gedämmt mit Strohballen, das größere der beiden ist mit 7 Stockwerken der höchste Strohballenbau Europas. Le Toit Vosgien macht damit vor, wie ökologisch und sozial verträglich gebaut werden kann.
Gut für die Umwelt: Ressourcen- und Energieschonend dank Holz und Stroh
Hinter den zwei Gebäuden steht ein ausgeklügeltes Konzept. Der Architekt Antoine Pagnoux präsentiert Planung und Design des Gebäudes und der Wohnungen. Die Holzgebäude sind nach Süden ausgerichtet, haben eine Außendämmung aus Stroh und ein Wärmerückgewinnungskonzept. Die Wärmerückgewinnung erfolgt durch sogenannte Power-Pipes, die die Wärme aus dem Duschwasser zurückgewinnen und übliche Wärmerückgewinnung über die Lüftungsanlage. Zusammen mit einer Solarthermieanlage und einer 30kW Wärmepumpe mit Erdwärmesonde reicht das aus, um alle Wohnungen mit Warmwasser zu versorgen und eine Raumtemperatur von ca. 23°C zu halten. Wie das geht? Sonneneinstrahlung nutzen und sehr gut dämmen dank Stroh. Außerdem hätte man sich für eine Strohdämmung entschieden, weil Stroh günstig und sehr beständig sei, schlecht brenne und vor Ort (nach)wachse, so der Architekt. Weitere Pluspunkte: Stroh ist ein reines Naturprodukt und Neben- oder gar Abfallprodukt des Getreideanbaus. Es kommt daher zu keiner Flächenkonkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion. Die Baukosten, so Pagnoux, hätten sich auf etwa 1900 Euro pro Quadratmeter belaufen statt 1200 Euro bei konventioneller Bauweise. Pagnoux rechnet konservativ mit einer Lebensdauer der Materialien von 50-100 Jahren.1 Hermann Hallenberger, Urgestein der Zimmerei Grünspecht, plädiert sinngemäß: Wir sollten viel selbstbewusster sein. Das hält 100 – 150 Jahre. Eine andere Frage ist, wie sich das Sozialgefüge verändert, und wie wir dann in Zukunft wohnen wollen.
Gut für den Mensch: günstig, gesund und komfortabel
Die Bewohner*innen fühlen sich wohl, die Auszugsrate ist deutlich geringer als bei anderen Gebäuden des Bauträgers. Das erfahren die Freiburger Gäste aus erster Hand von einer Mieterin, die bereitwillig ihre Wohnungstür für die Gäste öffnet. Die sichtbaren Tragelemente aus Holz sorgen für eine einladende Wohnatmosphäre und die große Verglasung an der Südseite zeigt den Wohnbereich in der Abendsonne von seiner besten Seite. Auch die Nebenkosten müssen sich nicht verstecken. Nach Angaben von Le Toit Vosgien bezahlen die Mieter*innen 16 Euro Nebenkosten monatlich pro Wohnung (inklusive Heizung und Warmwasser). Da Miete und Nebenkosten niedrig seien, hätte man auch nicht das verbreitete Problem, dass die Mieter*innen nicht zahlen können, so die Bauträger, wirtschaftlicher Gewinn also für beide Seiten (in Frankreich zahlt der Staat eine feste Kaltmiete, die Bewohner*innen der Sozialwohnungen zahlen nur noch die Nebenkosten), durch die minimalen Beträge erübrigt sich auch eine genaue Nebenkostenabrechnung pro Wohnung. Es zeigt sich wie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können: umwelt- und sozialverträgliches Bauen. Zusammen heißt das zukunftsfähiges Bauen. Apropos Zukunft, Le Toit Vosgien plant schon das nächste Projekt: ein weiteres Gebäude mit den gleichen Standards, diesmal 11 statt 7-stöckig. Lässt sich auch Freiburg von den französischen Ambitionen anstecken? Die Multiplikator*innen kehren am Ende des Tages begeistert mit neuen Eindrücken und Ideen zurück - und vielleicht auch mit einem kleinen Traum, das nächste Mal die französische Delegation wieder zu einem zukunftsweisenden Projekt nach Freiburg einladen zu können.
Auch die französische Lokalzeitung Vosges matin hat über den Freiburger Besuch in St. Dié berichtet und ein kurzer Filmbeitrag erschien auf viàVosges.
Die Exkursion war Bestandteil der StrohBallenBauTage Breisgau. Diese Veranstaltungsreihe wurde im Rahmen des EU-Projektes UP STRAW gemeinsam mit der Zimmerei Grünspecht eG durchgeführt. Das Ziel von UP STRAW ist, die Verwendung von Stroh im Bausektor zu fördern. Nähere Informationen unter www.bau-mit-stroh.de.
1Das älteste strohgedämmte Haus Europas, die "Maison Feuillette" in Frankreich, wird nächstes Jahr bereits 100 Jahre alt.
Le Toit Vosgien & Résidence Jules Ferry in Zahlen
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Stroh - Deutschlands nachhaltigster Dämmstoff |
Regionales Handwerk - regionale Arbeitsplätze |
Grünspecht Genossenschaft - 35 Jahre nachhaltiges Bauen |
UP STRAW - EU-Projekt für Strohballenbau UP-STRAW ist ein EU-Projekt im Rahmen des sogenannten Interreg-Programms Nord-West-Europa und soll durch Veränderungen im Bausektor zur Reduktion von CO2-Emissionen beitragen. Teilnehmende Länder sind Frankreich, Belgien, Niederlande, Großbrittannien und Deutschland. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Fachkräfte-Trainings, Forschung und Entwicklung sowie den Bau von fünf öffentlichen Referenzgebäuden soll die Markteinführung der Strohbauweise gefördert werden. Nähere Informationen unter www.nweurope.eu/upstraw und www.facebook.com/upstraw." |