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Autor
Leonie

Ist es eigentlich notwendig und sinnvoll, Wald für den neuen Stadtteil Dietenbach zu fällen?

Quartier im Zukunfts-Test
Zusammenfassung

Für den Stadtteil Dietenbach sollen 4 ha Wald gefällt werden. Seit ein paar Wochen wird dieser Wald von Aktivistis mit Baumhäusern besetzt. Sie fordern, den Wald zu erhalten. Welches sind die Kritikpunkte der beteiligten Organisationen und was ist der Standpunkt der Stadtverwaltung? Ein Überblick.

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Dietenbach – Steckbrief

Für Freiburg ist ein neuer Stadtteil geplant: Dietenbach. Im Jahr 2019 haben bei einem Bürgerentscheid 60% der Stimmen für den neuen Stadtteil gestimmt, 40% dagegen.

Der Stadtteil soll bis 2045 fertig gestellt sein. Es sind sechs Bauabschnitte geplant. Insgesamt soll Dietenbach ca. 6.900 Wohnungen für rund 15.000 Menschen bieten, davon 50 % geförderte Mietwohnungen (Mieten unter Niveau des freien Marktes, für 20 – 30 Jahre).

Der Stadtteil entseht auf Acker- und Wiesenflächen; zusätzlich sollen nach Angaben der Stadtverwaltung 4,05 ha Wald gefällt werden (mind. 3.000 Bäume).

 

Dietenbach klimaneutral? Nur im Betrieb.

Der Stadtteil soll klimaneutral im Betrieb werden. Die Emissionen, die beim Bau des Stadtteils anfallen werden demnach nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass der Stadtteil – sobald er einmal gebaut ist – die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht erhöht. Der Verlust an Boden- und Waldflächen, welche als CO2-Senke, also zur Speicherung von CO2 dienen können, wird nicht einberechnet.

Die Energie, die beim Bauen benötigt wird, nennt man „graue Energie“. Die Stadtverwaltung sagt:

„Graue Energie ist nicht berücksichtigt, da auch beim Bau neuer Gebäude in möglichen anderen Baugebieten diese graue Energie anfallen würde.“ Zudem sei der Bau von Wohnungen außerhalb Freiburgs mit einem höheren Aufkommen von Pendlerverkehr und viel mehr Flächenverbrauch verbunden.

 

Die Akteure

Ein wichtiger Akteur ist die Stadtverwaltung. Hier gibt es eine eigens eingerichtete "Planungsgruppe Dietenbach". Sie ist dem Baubürgermeister Martin Haag unterstellt.

Entscheidungsträger ist der Gemeinderat, der den Rahmenplan für Dietenbach am 8. Dezember 2020 absegnete. Der Rahmenplan ermöglicht eine detail-genaue Planung als „Bebauungsplan“. Dieser wird derzeit für den ersten Bauabschnitt erstellt und soll bis 2022 fertig sein. Anfang 2023 soll mithilfe eines Vermarktungskonzepts der Verkauf der neuen Grundstücke beginnen.

In der Zivilgesellschaft gibt es mehrere Initiativen, die den Bau kritisch begleiten und zum Teil ganz ablehnen (aus vorwiegend ökologischen Gründen):

Warum soll die Waldfläche gefällt werden?

Auf der zu fällenden Waldfläche, soll Platz für Straßenbahn, Kfz-Straße, Wohnungen, Sport- und Schulnutzung entstehen. Diese Waldflächen haben laut Stadtverwaltung keinen Schutzstatus. Die Stadtverwaltung gibt an, sie habe bei den Planüberlegungen darauf geachtet, wertige Waldflächen, zum Beispiel beim Langmattenwäldchen, zu erhalten. Andererseits würden für den Ausfall der Waldfläche woanders neue Waldflächen gepflanzt, die ebenso groß und ebenso wertig sein sollen. Auch innerhalb des Dietenbachgeländes sind Aufforstungen geplant. Unterm Strich sollen 0,65 ha neuer Wald im Gebiet entstehen und weitere 4,15 ha außerhalb des Gebiets.

Unabhängig von der Waldfläche sollen nach Angaben der Stadt mehr als 2000 Bäume im öffentlichen Raum gepflanzt werden.

ausführliche Antworten der Stadtverwaltung zu einer Presseanfrage

Welche Kompensationsmaßnahmen sind für die zur Rodung vorgesehenen 4,5 ha Wald geplant?

"Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind nur ca. 4,05 ha Wald umzuwandeln. Es werden Flächen im Verhältnis 1:1 aufgeforstet, darüber hinaus werden auf städtischen Forstflächen sog. Schutz- und Gestaltungsmaßnahmen umgesetzt."

Wo und in welchem Umfangen finden diese Maßnahmen statt?

"Im Gebiet werden 0,65 ha Wald neu geschaffen, außerhalb des Gebiets weitere 4,15 ha. Diese Zahlen sind Rundungen."

Warum ist es unvermeidlich die Waldfläche von 4,5 ha zu entfernen?

"Im Wesentlichen handelt es sich um den lagebedingt so zu führenden Stadtbahnanschluss, die Schaffung von Sport- und Freizeitanlagen, Teile des Schulcampus zwischen der zu verlegenden Erdgashochdruckleitung und der Mundenhofer Straße, Wohnbebauung, den Anschluss an die Besanconallee und mehreren Fuß- und Radwegen zwischen Dietenbach und Rieselfeld. Die Waldflächen stehen überwiegend im Privateigentum, alle Eigentümer haben ihre Grundstücke für die Entwicklung durch notarielle Verträge zur Verfügung gestellt. Die Infrastruktur (Sport und Schule, Stadtbahn, Kfz-Erschließung, Fuß- und Radwege) ist für die Erschließung und Ausstattung eines Stadtteils dieser Größe nötig."

Exkurs Eingriffsregelung

Bei einem Bauvorhaben werden Natur und Landschaft beeinträchtigt. Deshalb muss laut Bundesnaturschutzgesetzt und Baugesetzbuch ein Ausgleich oder Ersatz geschaffen werden. Der Gund dafür: der Zustand von Natur und Landschaft dürfen sich insgesamt gesehen nicht verschlechtern (Wikipedia). Mithilfe von sogenannten Ökopunkten ist es möglich sich für eine Baumaßnahme anderswo Ausgleichsmaßnahmen zu kaufen. Dadurch müssen Eingriff und Ausgleich nicht zur selben Zeit und in räumlicher Nähe stattfinden, denn zum Teil ist es für Kommunen schwierig zeitgleich und räumlich nah zur geplanten Baumaßnahme Ausgleichsflächen zu finden. Die mit dieser Eingriffsregelung verbundenen Ökopunkte stehen in der Kritik (Beitrag Report Mainz, BUND).

Wenn in Baden-Württemberg Waldflächen gerodet werden müssen, fällt das unter das Landeswaldgesetz. Demnach muss an anderer Stelle in der Regel wieder aufgeforstet werden.

Die Kritik

Die oben genannte Initiativen vermissen eine vollständige Öko-Bilanzierung (die die Emmissionen des Baus mit einrechnet). Sie kritisieren, dass der hohen Bedeutung der Waldflächen für Klima- und Artenschutz nicht Rechnung getragen werde. Außerdem sei es laut Initiativen nicht möglich, einen gleichwertigen Ausgleich der Waldflächen zu schaffen, die gefällt werden sollen.

Hier die ausführlichen Gründe, weshalb der Waldverlust als so prekär angesehen wird.

1) Der Waldboden, das Wurzelgeflecht und die Bäume sind die größten CO²-Speicher, die in Freiburg zur Verfügung stehen. Ohne diese Speichermassen ist eine Klimaneutralität nicht erreichbar.

2) Wald bietet die beste Möglichkeit, Feinstaub zu neutralisieren, Feuchtigkeit zu speichern und sommerliche Hitze in der Stadt erträglich zu machen.

3) Waldränder sind die artenreichsten Zonen, die es bei uns gibt.

4) Die Forstwissenschaft stuft die Mooswälder der Rheinebene als die "Tropenwälder Baden-Württembergs" ein. Auch der Dietenbachwald gehört zu diesen eichenreichen Laubmischwäldern.

5) Der Stadtrat hat dem Klima- und Artenschutz die „höchste Priorität“ zugesprochen (Manifest 2019) und zusätzlich die Waldkonvention dem Klimaschutz unterworfen (2020). Auch erneuerte die Stadtverwaltung jüngst ihr Bekenntnis zu den Nachhaltigkeitszielen der UN (Jan. 2021: u. a. „Erhalt des Waldbestandes“).

6) Der vollständige Walderhalt kommt auch den 15.000 zukünftigen Bewohnern zugute, zur Erholung und zum Hitzeausgleich in dem neuen "Hotspot"-Gebiet.“

Hier die ausführlichen Gründe, warum die kritischen Organisationen von den zugesicherten Aufforstungen nicht überzeugt sind.
  1. Wiederaufforstung auf bestehenden Freiflächen gleicht die Versiegelung der ursprünglichen Bodenspeichermasse nicht aus.

  2. Neuplanzungen müssen flächenhaft erfolgen und erreichen die Klimawirkung einer bestehenden Waldfläche erst nach vielen Jahrzehnten; der Klimawandel ist aber schneller.

  3. Neu gepflanzte Waldbäume werden eher Opfer des Klimawandels als ein Mittel gegen ihn.

  4. Die Ausgleichsflächen liegen weit außerhalb und nützen den Stadtbewohnern nichts..

  5. Die Artenvielfalt bei Waldrändern kann nicht umtransportiert werden.

  6. Der Verlust an Waldrändern (2,5 km) schwächt zusätzlich den Waldbestand im Kern. Insbesondere ist der lange, 30 m breite Reststreifen-Wald entlang der Mundenhofer Straße dem Klimawandel nicht gewachsen (heute schon erkennbar).

  7. Neue Straßenbäume und Stadtgrün können die Waldfunktionen nicht ersetzen.

  8. Es ist widersinnig, bei dem Vorhaben einen bestimmten Waldabschnitt (ca. 1.000 Bäume am SVO-Platz) zu roden und auszugleichen, weil er bereits vor 10 Jahren zum Ausgleich für Baumfällungen unter besondere Pflege gestellt wurde.

  9. Bei chronisch knapper Kassenlage ist es wirtschaftlicher, den Wald zu erhalten, als nach dem Roden Neupflanzungen anzulegen und lange zu pflegen.“

Gibt es Alternativen, um den Wald zu erhalten?

Aus den Kreisen der kritischen Initiativen wurden Ansätze für wald-schonende Planungen entwickelt und der Stadtverwaltung vorgelegt.

Die Baumbesetzenden fordern durch höhere Gebäude und eine Verdichtung im Freiburger Bestand Fläche in Dietenbach zu sparen und den Wald zu erhalten (Positionspapier Dieti bleibt).

Andere fordern, die Ansprüche an den neuen Stadtteil zurückzuschrauben. Im aktuellen Rahmenplan sind es 6.900 Wohnungen. Ursprünglich wurde mit 6.500 Wohneinheiten in Dietenbach gerechnet. Die Anzahl der Wohneinheiten zu erhöhen sei nicht alternativlos notwendig, so das Argument.

Die von den Initiativen vorgelegten Planungsansätze wurden mit Gemeinderatsmitgliedern und Planern besprochen, bisher jedoch nicht übernommen.

Die Stadtverwaltung hält es nach wie vor für angemessen, die Waldfläche von ca. 4 ha zu fällen. Für sie ist der im Dezember 2020 beschlossene Rahmenplan ein gut abgewogener Kompromiss zwischen den vielfältigen Anforderungen (Anzahl der Wohneinheiten, Finanzierung, Stadt- und Freiraumqualität, Schul- und Sportbedarf , Ökologie).

 

Wir halten fest:

Es gibt unterschiedliche Prioritäten. Die Stadtverwaltung sagt, sie müsse zwischen unterschiedlichen Interessen beim Bau des neuen Stadtteils abwägen. Die Initiativen fordern den Klima- und Artenschutz vor allem anderen zu priorisieren. Sie sehen einen Widerspruch in der geplanten Fällung der Bäume, da der Gemeinderat dem Klima- und Artenschutz "allerhöchste Priorität" (siehe Klima- und Artenschutzmanifest) eingeräumt hat.

 

 

 

Letzte Änderungen:

Zuletzt geändert
06.12.23, 23:57